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2024 veröffentlichte Pro Wildlife seinen Bericht über die globale Delfinjagd. Als mich das ZDF-Filmteam von planet e. daraufhin fragt, ob ich mit nach Ghana reisen würde, um die Delfinjagd dort zu dokumentieren, willige ich sofort ein. Schließlich ist Ghana mit geschätzten knapp 10.000 Tieren jährlich weltweit aktuell auf Platz 2 der traurigen Liste der Delfinjagdländer.
Delfine als Opfer der Überfischung
Der Fall Ghana zeigt, welch komplexe und katastrophale Folgen die Überfischung vielerorts hat: Eigentlich war in Westafrika Delfinfleisch früher gar nicht sonderlich gefragt. Doch seit die Überfischung zu einer dramatischen Fischknappheit geführt hat, ersetzt das Fleisch der kleinen Meeressäuger zunehmend Fisch als bisherige Proteinquelle der lokalen Bevölkerung. Und nicht nur das: Weil die Bestände der großen Hai-Arten ebenfalls bereits überfischt sind, werden immer mehr Delfine auch getötet, um sie noch auf See zu zerlegen und mit ihrem fettreichen Fleisch als Köder die wertvollen Haie anzulocken. All dies wusste ich bereits vor unserer Reise, doch der Trip ins westafrikanische Land macht nochmals die ganze Problematik in all ihren Facetten deutlich.

Ein gemeinsamer Tag auf See schafft Vertrauen
Für einen Tag hat das ZDF-Team ein Fischerboot gemietet, das uns zu wilden Delfinen bringen sollte. Im Hafen treffen wir den Fischerei-Experten Dr. Isaac Okyere von der Universität Cape Coast, der Ausmaß und Folgen der Delfinjagd in Ghana untersucht und dafür eigens ein landesweites Meldesystem für angelandete Tiere entwickelt hat. Gemeinsam fahren wir mit einem der typischen Holzkanus 70 km auf das offene Meer hinaus – ein wenig mulmig ist mir angesichts des wackligen Bootes schon, in dem sich eine sehr schweigsame fünfköpfige Crew und wir vier als Gäste verteilen.
Nach sechs Stunden auf offener See finden wir eine große Schule von mindestens 50 Clymene-Delfinen. Unsere Begeisterung ist riesig, und Isaac schwärmt der Crew vor, wieviel Geld sie mit Delfintourismus verdienen könnten.
Doch dann geschieht etwas Unerwartetes: Die Fischer, die an diesem Tag ja nur als unsere Guides angeheuert sind, fragen uns, ob sie denn einige Delfine jagen dürfen. Wir verneinen dies natürlich, nutzen aber die Gelegenheit, Fragen zu ihrem Fischereialltag und der Rolle der Delfine darin zu stellen.
Und tatsächlich: Die stundenlange gemeinsame Fahrt auf dem Kanu und unser ehrliches Interesse an ihren alltäglichen Problemen lässt sie vor unseren Kameras Dinge offen erzählen, die sie uns an Land nie erzählt hätten: Ja, sie haben regelmäßig Delfine als Beifang in ihren Netzen. Und sie ziehen sogar eine stählerne Harpune hervor, mit denen sie die Meeressäuger auch ganz gezielt töten.

Ich zeige ihnen Fotos der 15 Delfinarten, die vor Ghanas Küsten vorkommen. Auf meine Frage, welche von ihnen sie bejagen, kommt die ernüchternde Antwort: Alle von ihnen!

Die kleineren Arten wie Schlank- oder Clymene-Delfine werden meist noch auf See zerstückelt und als Haiköder eingesetzt. Bei mehrtägigen Fischertouren, so berichten sie, jagen sie hierfür bis zu 15 Delfine pro Boot – das sind Tiere, die niemand sonst zu Gesicht kriegt und die in keiner offiziellen Fangstatistik auftauchen… Größere Arten wie Große Tümmler, Grindwale oder Rundkopfdelfine sind hingegen lukrativer, wenn sie an Land als Fleisch verkauft werden. Ein solches Tier bringt umgerechnet etwa 30 Euro – Geld, das zur Hälfte der Bootsbesitzer bekommt, zur Hälfte unter der mehrköpfigen Crew aufgeteilt wird.
Diese Jagd hat Folgen: Früher waren Clymene-Delfine die am häufigsten gejagte Art in Ghana, doch inzwischen sind es die Schlankdelfine. Für Isaac ist dies ein starker Hinweis darauf, dass die Population der Clymene-Delfine bereits dezimiert ist.
Misstrauische Fischer im Hafen von Dixcove
Als wir in den frühen Morgenstunden des nächsten Tages im Hafen von Dixcove ankommen, um die Anlandung der nächtlichen Fischerei zu dokumentieren, spricht sich das schnell herum, und die Fischer begegnen uns zunächst mit großem Misstrauen: Vier Weiße, die mit verschiedensten Kameras und einer Filmdrohne anrücken und genau begutachten, was die Fischer so alles an Land bringen. Doch Isaac, den sie seit Jahren kennen, kann sie beruhigen: Wir wollen nur eine Dokumentation machen, es droht ihnen keine Gefahr durch uns.

Ihr Unbehagen hat einen Grund, denn was sie aus den Laderäumen ihrer Kanus ziehen, hat es in sich: Neben Marlinen und kleinen Thunfischen werden dutzende tote Blauhaie an den Strand gezogen – eine Art, die sowohl in Ghana als auch international zu den geschützten Arten gehört.

Trotzdem werden sie vor unseren Augen noch auf dem Strand zerlegt: Die wertvollen Finnen für den Export nach Fernost (70% des Verkaufserlöses wird mit den Flossen erzielt), der restliche Körper für den heimischen Markt, wo sie etwa 600-1000 Cedi (umgerechnet 37-62 Euro) für den entfinnten Hai erzielen. Während ich völlig unbehelligt Bilder der toten Blauhaie machen darf, kriege ich sofort Ärger, als ich die zum Trocknen ausgelegten Finnen fotografiere.

Gute Gesetze in Ghana, aber kaum Vollzug
In Ghana ist der Fang von Delfinen, Haien, und Meeresschildkröten klar verboten. Dennoch wurden die Blauhaie ganz offen und ungehindert angelandet und verarbeitet. Denn die lokale Gemeinde hält zusammen, schließlich fängt fast die Hälfte der Fischerboote gezielt Haie und auch die andere Hälfte hat regelmäßig Haie in den Netzen. Es gibt mehr als 300 Anlandestellen an der Küste und die wenigen Patrouillen der Navy sind v.a. auf See unterwegs.
Bei den Delfinen ist man jedoch vorsichtiger. Ihr Anlanden ist zwar in Ghana ebenfalls Alltag: Sie verfangen sich in Fischernetzen, werden jedoch nicht freigelassen, weil sie inzwischen zu wertvoll geworden sind und sich vermarkten lassen – wir sprechen in solchen Fällen von „willkommenem Beifang“. Oder sie werden sogar aktiv harpuniert. Einen toten Delfin kriegen wir allerdings zunächst nicht zu Gesicht, und nur dank der guten Kontakte von Isaac bekommen wir schließlich den Tipp, auf welchem Boot ein toter Delfin im Laderaum versteckt ist. Er kann die Fischer überzeugen, uns das Tier zu zeigen. Es handelt sich um einen noch jungen Schlankdelfin. Auf Nachfrage bestätigt man uns, dass er als Köder für Haie dienen soll.

Es ist mehr als deutlich: Wenn es um Delfine geht, sind die Fischer bei unserem Hafenbesuch deutlich misstrauischer. Ganz offensichtlich greifen hier die Behörden eher durch als bei den Haien.
Delfinjagd oder Delfintourismus?
Die Gespräche mit Isaac machen mir deutlich, wie schwer es ist, im Falle Ghanas eine Lösung zu finden. Die Fischer sind in einem täglichen Überlebenskampf: Der Sprit für die Boote ist teuer, und oft kommen sie mit wenig oder gar ohne Fisch zurück. Zu groß ist die Konkurrenz um den schwindenden Fisch. Zum einen, weil sich in den letzten 20 Jahren die Zahl der Fischerkanus in Ghana von 4.000 auf 12.000 verdreifacht hat – zum anderen, weil Hightech-Überseeflotten aus Fernost und Europa viel mehr Fisch aus dem Meer ziehen. Ghanas Fischerei steht vor dem Kollaps – und viele Fischer suchen bereits ihr Einkommen als Arbeiter in den umliegenden Goldminen, die von ausländischen Konzernen betrieben werden.

Kann ein umweltfreundlicher Meerestourismus in Zukunft eine alternative Einnahmequelle für die Fischer sein? Noch ist dies ferne Zukunftsmusik, denn Dixcove ist 260 km weg vom Flughafen in Ghanas Hauptstadt Accra und nur über großteils ruckelige Pisten zu erreichen. Auch sind die Fischerboote zu langsam, um Touristen schnell zu den Delfinen zu bringen – aktuell verbringt man 12 Stunden auf einem wackligen Kahn. Es bräuchte hohe Investitionen und mutige Fischer, die alte Traditionen aufgeben und sich auf ein neues Geschäftsmodell einlassen.
+++ Die Video-Reportage „Delfine – die illegale Jagd“ finden Sie hier >> in der ZDF Mediathek +++
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Autorin: Dr. Sandra Altherr
Veröffentlicht am: 2. Mai 2025