Inhaltsverzeichnis:
Kein anderes Land hat in den letzten 20 Jahren solche Berge an Walfleisch exportiert wie Island. Besonders im Fokus: der bedrohte Finnwal. Von 2019 bis 2021 ruhten die Harpunen jedoch – und Anfang 2022 kündigte Islands Regierung an, die Quoten ab 2024 nicht mehr zu genehmigen. Doch zu früh gefreut: 2022 fuhren die Schiffe wieder aus und töteten 148 Finnwale. Fotos der Aktivisten von Hard To Port und unser Briefing für die Walfangtagung 2022 zeigten, wie grausam der Walfang in Island ablief. Die Fangsaison 2023 wurde daraufhin ausgesetzt, bevor für die letzten Wochen erneut die Lizenz zum Töten erteilt wurde. Auch 2024 wurde die Waljagd erst spät und mit reduzierter Fangquote genehmigt. Die vollständige Kehrtwende erfolgte im Dezember 2024: Trotz eines Korruptionsskandals um die Lizenzvergabe wurden für 2025 Quoten nicht nur erneut vergeben, sondern sogar wieder in alter Höhe.
Island war früher eines der aktivsten Walfangländer: Tausende Blau-, Finn-, Sei- und Buckelwale starben von Anfang des 20. Jahrhunderts bis 1989 in isländischen Gewässern. Das kleine Land profitierte vor allem von den Exporten von Walprodukten nach Japan. Nachdem 1986 das kommerzielle Walfangmoratorium der Internationalen Walfangkommission (IWC) in Kraft trat, verließ Island wutentbrannt die IWC und hoffte auf fortwährende Exporte nach Japan. Doch Japans Gesetze verbieten den Import von Ländern, die nicht Mitglied der IWC sind. Island setzte 14 Jahre mit der Jagd aus, trat 2003 wieder in die IWC ein – diesmal mit einem formellen Einspruch gegen das Walfangmoratorium. Allerdings darf Island seine Finnwalprodukte laut internationalem Recht trotz allem nur nach Japan (oder theoretisch nach Norwegen) verkaufen – denn nur diese Länder haben einen formalen Widerspruch gegen das internationale CITES-Handelsverbot für diese Walart eingelegt. Seither (Stand: August 2024) sind in Island mindestens 1.000 Finnwale mit Explosivharpunen getötet worden.
Die Finnwaljagd ist eine One-Man-Show
Der Finnwalfang Islands ist in der Hand eines einzigen Unternehmers, Kristján Loftsson. Loftsson ist nicht nur Geschäftsführer von Islands einziger Finnwalfang-Firma, der „Hvalur hf“, sondern gleichzeitig auch Mitglied der isländischen IWC-Delegation und einflussreicher Lobbyist in eigener Sache. 1974 hat Loftsson die Leitung von Hvalur hf nach dem Tod seines Vaters übernommen; er und seine Schwester sind bis heute die Hauptaktionäre.

Dass Hvalur hf bis heute als einziges Unternehmen Finnwale fangen darf, zeigt den immensen politischen Einfluss Loftssons: Denn selbst die massive internationale Kritik, diplomatische Verwarnungen durch die EU, Beschwerden der Waltourismusindustrie, deren Geschäfte durch die Finnwaljagd geschädigt werden, ja sogar eine Studie, die den internationalen Imageschaden Islands hervorhebt – all das hat Loftssons grausame Jagd bislang noch nicht stoppen können.
Absatzschwierigkeiten in Japan
Loftsson hofft auf Japan als Absatzmarkt: Und tatsächlich exportierte Island nach seinem Wiedereintritt in die IWC laut nationaler Handelsstatistik mehr als 14.300 Tonnen Walfleisch nach Japan. Allerdings verweigerte Japan immer wieder die Annahme des Walfleischs, da die Verarbeitung unter freiem Himmel nicht den japanischen Hygienestandards entsprach. Was mit Walfleisch passiert, das von Japan nicht ins Land gelassen wird, ist bis heute unklar. Auch die isländische Veterinärbehörde hatte 2019 schließlich hygienische Bedenken und verbot Loftsson zwischenzeitlich die Verarbeitung der gefangenen Finnwale unter freiem Himmel. Die Kombination aus mangelnden Absatzmöglichkeiten und der Einschränkung der Verarbeitungsmöglichkeiten führte zu einem dreijährigen Fangstopp. Als das isländische Verbot im Oktober 2021 wieder aufgehoben wurde, töteten Loftssons Walfänger 2022 erneut 148 Finnwale. Im Februar 2023 importierte Japan dann die größte isländische Walfleischlieferung seit 35 Jahren (ca. 2.500 Tonnen, angeblicher Marktwert 18,7 Mio. Euro), obwohl die Nachfrage im eigenen Land gering ist.

Waljagd für Nahrungsergänzungsmittel?
In isländischen Zeitungsartikeln war zu lesen, dass Loftsson Finnwale zu Nahrungsergänzungsmitteln verarbeiten und damit – wieder einmal – neue Absatzmärkte entwickeln möchte. Waren dies in der Vergangenheit Omega-3-Fettsäure-Pillen und sogar Walbier, sollen es nun Präparate gegen Eisenmangel sowie Gelatine „für medizinische Zwecke“ sein. Loftsson scheut nicht einmal davor zurück, die Sorgen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezüglich Blutarmut in Entwicklungsländern zu zitieren. Ein absurder Täuschungsversuch, denn selbst wenn Finnwale wirklich die Wunderwaffe gegen Anämie wären, das hochentwickelte Gesundheitssystem im Industrieland Japan dürfte kaum auf derartige Nahrungsergänzungsmittel angewiesen sein. Auch in Island selbst ist die Nachfrage nach solchen Pseudo-Mittelchen vermutlich eher gering. Eine absurde Posse also – die Loftsson noch immer als Option für künftigen Walfang aufrechterhalten will.
So grausam ist der Walfang in Island

Im Sommer 2022 dokumentierten Aktivisten der Organisation Hard to Port am Hafen mit Fotos, wie grausam die Finnwaljagd ist: Einige der angelandeten Tiere zeigten mehrere (bis zu vier) Harpunen im Leib. Bedenkt man, dass es acht Minuten braucht, um eine Harpune nachzuladen und neu zu zielen, leiden manche Finnwale knapp eine halbe Stunde, bevor sie sterben (s.a. unser Briefing für die IWC-Tagung im Oktober 2022).
Die schockierenden Fotos von Hard to Port zeigten Wirkung: Im August 2022 veranlasste Islands Fischereiministerin Svandís Svavarsdóttir, dass die Waljagd ab sofort an Bord durch die Veterinärbehörde MAST überwacht werden muss. Diese fertigte einen Bericht basierend auf ihren Beobachtungen während der Jagd an und schlussfolgerte in ihrer Veröffentlichung im Mai 2023, dass viele der Finnwale einen langsamen, qualvollen Tod sterben und die Jagd damit dem isländischen Tierschutzgesetz widerspricht.
Auch Islands Fachrat für Tierwohl bestätigte, dass die Finnwaljagd allein aufgrund der Größe der Tiere grundsätzlich nicht tierschutzkonform möglich sei. Die Berichte führten zu einem vorübergehenden Fangverbot, das allerdings am 31. August 2023, kurz vor Ende der Saison, auslief. Nachdem ein am 28. August veröffentlichter Bericht des Ministeriums erklärte, eine Verbesserung der Fangmethoden sei nun doch prinzipiell möglich, verließen zwei Schiffe Loftssons bereits einen Tag später den Hafen – noch vor der offiziellen Erlaubnis der Ministerin. Kurz darauf wurden die Schiffe aufgrund schwerer Verstöße gegen die Tierschutzauflagen zurückbeordert und ihnen für mehrere Tage das Auslaufen untersagt. Traurige Bilanz der stark verkürzten Walfang-Saison 2023: 24 getötete Finnwale.
Islands Walfang endlich Vergangenheit?
Lange war unklar, ob Loftsson ab 2024 erneut einen Fangquotenblock für fünf Jahre erhält. Es gab krankheitsbedingt einen Wechsel der Fischereiministerin – und die Neue ließ sich Zeit mit ihrer Entscheidung zum Walfang in Island, wollte alle Aspekte (juristisch, ökonomisch und Imageschaden) gründlich abwägen. Obwohl das Fischereiministerium in einem Bericht 2023 bestätigte, dass Finnwaljagd wirtschaftlich irrelevant ist und sich auch immer wieder Hollywoodgrößen wie Leonardo DiCaprio, Hilary Swank, James Cameron und Peter Jackson klar gegen Islands Walfang positionieren, trat die neue Fischereiministerin am 11. Juni vor die Presse und verkündete, dass Loftsson für 2024 eine Quote für 128 Finnwale erhält. Immerhin nur für ein Jahr (statt der bislang üblichen Fünfjahresquoten) und auch nur 128 statt der bisherigen 209 Tiere pro Jahr. Dennoch kritisierten Tier- und Artenschutzorganisationen die Entscheidung umgehend.
In den darauffolgenden Tagen wiederholte Loftsson jedoch in Interviews, aufgrund der späten Zusage hätte er keine Vorbereitungen treffen können. Tatsächlich blieben seine Schiffe 2024 im Hafen und die Finnwale verschont.
Neue Walfangquoten trotz Korruptionsskandal
Im Herbst 2024 zerbrach die isländische Regierung. Das Amt des Premier- als auch das des Fischereiministers ging übergangsweise an den Walfangunterstützer und Freund Loftssons Bjarni Benediktsson. Loftsson nutzte die Gelegenheit und beantragte, zusammen mit einem weiteren Unternehmen, Lizenzen für die Finn- und Zwergwaljagd. Nachdem der isländischen Presse Aufnahmen zugespielt wurden, in denen der Sohn eines Abgeordneten zugab, dass sein Vater von Benediktsson gezielt auf einen Posten im Fischerei-Ministerium gesetzt wurde, der für die Genehmigung der Lizenzen zuständig ist, schien eine Vergabe der Lizenzen vor den Neuwahlen im November politisch unmöglich.
Nach diesem Korruptionsskandal gewannen die Sozialdemokraten schließlich knapp die Parlamentswahlen und es zeichnete sich ab, dass eine Walfang-ablehnende Koalition zustande kommen könnte. Allerdings blieb der abgewählte Benediktsson bis zur Übernahme der neuen Regierung geschäftsführend im Amt und sorgte direkt nach den Neuwahlen dafür, dass die beantragten Walfanglizenzen für die nächsten fünf Jahre genehmigt wurden. Die jährlichen Quoten betragen demnach 209 Finn- und 217 Zwergwale.
Saison 2025: Aktuelle Entwicklungen
Finnwale: Im April 2025 kam dann jedoch die gute Nachricht, dass Loftssons Schiffe auch 2025 im Hafen bleiben. Aus wirtschaftlichen Gründen lohne sich die Jagd nicht mehr. Hintergrund ist die seit Jahren schwache Nachfrage im einzigen Absatzmarkt Japan. Dort ist zwar Finnwalfleisch etwas beliebter als andere Wale, aber die dennoch geringe Nachfrage deckt Japan seit 2024 selbst: Erstmals seit Jahrzehnten wurden 30 Finnwale in Japans Gewässern im Nordpazifik gefangen – und damit braucht man keine Importe aus Island mehr…
Zwergwale: Während die Finnwale diese Saison vor Loftssons Harpunen verschont bleiben, sieht es für die Zwergwale schlecht aus. Das Unternehmen „Tjaldtangi ehf.“ sicherte sich eine Lizenz zur Jagd auf diese weniger im Fokus stehende Art und trifft bereits entsprechende Vorbereitungen. Im Gegensatz zum Finnwalfleisch, will das Unternehmen die Zwergwale für den heimischen Markt fangen. Kaum vorstellbar, dass dies wirtschaftlich rentabel ist, da die Nachfrage nach Walfleisch in Island äußerst gering ist. Doch Tjaldtangis Manager Gunnar Torfason betont: „Wir fangen mit einem [Zwergwal] an. Und dann einer nach dem anderen.“ Keine guten Aussichten für die Zwergwale…
Das tut Pro Wildlife
Pro Wildlife setzt sich innerhalb der EU und im Rahmen der Internationalen Walfangkommission für ein lückenloses kommerzielles Walfangverbot ein. Unser größter Erfolg (gemeinsam mit anderen Verbänden und engagierten Ländern) ist, dass das IWC-Moratorium bis heute noch in Kraft ist – trotz aller Versuche der Walfangländer, diese lästige Einschränkung zu beseitigen. Doch das reicht uns nicht:
Die Gesetzeslücken, mit denen Japan, Island und Norwegen das Moratorium umgehen, müssen endlich geschlossen werden. Um dies zu erreichen, informiert Pro Wildlife regelmäßig die Walschutzländer über Entwicklungen im Walfang und liefert ständig neue Argumente für den internationalen Verhandlungstisch. Unsere Überzeugungsarbeit führte schließlich dazu, dass die EU für die IWC-Tagung Ende September 2024 in Peru eine entsprechende Resolution einbrachte, die auch mit großer Mehrheit angenommen wurde. Damit wurde der kommerzielle Walfang in Island (aber auch in Japan und Norwegen) endlich – erstmals seit 23 Jahren – formal verurteilt. Diese diplomatische Ohrfeige ist auch für die Regierung in Island ein deutliches Signal für künftige Entscheidungen…
Weitere Informationen:
- Unser Bericht: How modern Norway clings to its whaling past Frozen in Time PDF
- Unser Bericht „Toxic Menu“ zu Giftstoffen in Walen und Delfinen. Toxic Menu PDF
- Unser Bericht: Denmark goes it alone on whaling policy. Breaking Ranks PDF