Keulung von Wildtieren: Massenhaftes Töten einer Art

Afrikanische Schweinepest: Warum das Töten nicht hilft

Keulung von Wildtieren: Massenhaftes Töten einer Art

Unter Deutschlands Schweinebauern geht die Angst um. Im September wurden in Belgien mehrere Wildschweine gefunden, die an der sogenannten Afrikanischen Schweinepest (ASP) gestorben waren. Damit wurde diese hoch ansteckende Viruserkrankung nun in drei deutschen Nachbarländern nachgewiesen: Polen, Tschechien und Belgien. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die ASP auch Deutschland erreicht.

Das Virus ist zwar für den Menschen ungefährlich, allerdings ist es eine große Gefahr für Wild- und Hausschweine. Bei Schweinen kann die Krankheit innerhalb von 48 Stunden zum Tod führen – und nach einem Impfstoff suchen Wissenschaftler bisher vergeblich. Deshalb schlagen Schweinezüchter und Mastbetriebe in Deutschland Alarm und fordern, dass 70 Prozent der Wildschweine in Deutschland (Muttertiere und Frischlinge mit eingeschlossen) vorsorglich erlegt werden. Die Schonzeiten für Wildschweine wurden bereits bundesweit aufgehoben und in vielen Bundesländern Prämien von 20 bis 50 Euro pro erlegtem Wildschwein an Jäger ausgezahlt. Das führte dazu, dass 2017/2018 so viele Wildschweine wie noch nie in Deutschland erschossen wurden – mehr als 820.000, knapp 40 Prozent mehr als im Vorjahr.

Fragwürdige Keulungen gibt es weltweit

Ob Dachse in Großbritannien, Fledermäuse in Südamerika oder Kamele in Australien, die massenhafte Tötung von Wildtieren, auch Keulung (englisch Culling) genannt, wird aus den verschiedensten Gründen unternommen. Im Falle der Schweinepest soll sie angeblich zur Vorbeugung gegenüber einer Seuche dienen und somit die Schweinebauern vor wirtschaftlichen Schäden bewahren. Allerdings gibt es berechtigte Zweifel an dem Erfolg dieser Methode:

ASP wird nämlich nicht nur von Wildschweinen verbreitet, sondern auch von Menschen, die z.B. infizierte Fleischabfälle unsachgemäß entsorgen oder das Virus über Kleidung, Stiefel oder Autoreifen verbreiten. Wildschweine, die mit diesen Essensresten in Kontakt kommen (z.B. an Autobahnraststätten), können sich schnell infizieren und das Virus somit in neuen Regionen verbreiten. Der Transport erlegter Wildschweine, sowie Produkten aus deren Fleisch, müssten daher besser kontrolliert werden und Menschen über Hygienevorkehrungen und die sachgemäße Entsorgung von Fleischabfällen aufgeklärt werden.

Doch es gibt noch andere Gründe, warum Keulungen oft nicht zum geplanten Erfolg führen und ethisch kaum vertretbar sind. Häufig werden große Teile einer Population durch Keulungen ausgelöscht. Die wenigen Tiere, die übrig bleiben, finden dann ein wahres Schlaraffenland vor, in dem sie sich nicht mit anderen um Platz und Nahrung streiten müssen. Daher steigen Geburts- und Überlebensraten von Jungtieren nach einer Keulung oft extrem an und Populationen werden schnell größer als sie es vor der Keulung waren. Das passierte beispielsweise nach Culling-Aktionen von Frettchen auf Rathlin Island in Nordirland und verwilderten Katzen in Tasmanien (Australien).

Frettchen
Frettchen

Culling per Trophäenjagd in Sambia

Ähnliches ist zu erwarten, falls Sambia die geplante Massentötung von Flusspferden im Süd-Luangwa National Park umsetzen sollte. Das Land im südlichen Afrika hat erst kürzlich seine Pläne zur Keulung von bis zu 2.000 Hippos in den nächsten fünf Jahren wieder belebt, obwohl es diese vor zwei Jahren aufgrund von Protesten von Tierschutzorganisationen (unter anderem auch Pro Wildlife) verworfen hatte. Damals sollten die Tiere gekeult werden, um die Milzbrandverbreitung einzudämmen; heute heißt es schlicht, dass die Population zu groß sei und eine Gefahr für das Ökosystem darstelle. Wissenschaftliche Beweise dafür gibt es keine.

Flussferde sind auf der Roten Liste der IUCN als gefährdet eingestuft und es leben wahrscheinlich weniger als 130.000 von ihnen. Dennoch hat die sambische Regierung Trophäenjäger aus aller Welt eingeladen bei der Keulung „mitzuhelfen“. Die Jäger zahlen mehrere tausend Euro für eine Hippotrophäe; außerdem bringt der Handel mit Fleisch und Zähnen, aus denen u.a. lukrative Elfenbeinschnitzereien gefertigt werden, zusätzlich Geld ins Land. Die Hippos in andere Gebiete zu transportieren wäre zu teuer, meint die sambische Regierung. Der Hauptgrund für die Keulung der Nilpferde scheint in diesem Fall ein finanzieller zu sein.

Obwohl Flusspferde gefährdet sind, existieren in Sambia neue Keulungspläne
Obwohl Flusspferde gefährdet sind, existieren in Sambia neue Keulungspläne

Wölfe töten, um Karibus zu retten?

Es kommt auch vor, dass Tiere einer Spezies gekeult werden, um einer anderen Spezies zu helfen. Zumindest in der Theorie. Die kanadischen Provinzen British Columbia (B.C.) und Alberta betreiben seit einigen Jahren regelmäßige Wolfskeulungen, um das Woodland-Karibu vor dem Aussterben zu bewahren. Mehr als tausend Wölfe sind dieser „Schutzmaßnahme“ bereits zum Opfer gefallen. Angeblich erlegen die Wölfe einfach zu viele Karibus und müssen daher kontrolliert werden. Es ist in der Tat richtig, dass viele Populationen des Woodland-Karibus, im Gegensatz zu ihren verwandten in der Arktis und den Rentieren in Europa, vom Aussterben bedroht sind. Allerdings ist das kaum dem Wolf anzukreiden. Der Übeltäter ist wie so oft der Mensch. Der Lebensraum der Woodland-Karibus, naturbelassene Nadelwälder, wird immer mehr zur Holzgewinnung und für Öl-Pipelines abgeholzt.

Die meisten Naturschützer in Kanada sind sich einig, dass die Regierung viel mehr Habitat für Woodland-Karibus schützen müsste, um deren Aussterben zu verhindern. Forst- und Ölwirtschaft gehören allerdings zu den größten Arbeitgebern in Kanada und haben daher großen Einfluss auf politische Entscheidungen. Die Regierung schiebt nun lieber dem Wolf die Schuld in die Schuhe – und das, obwohl die Beweislage für die Effektivität der Wolfskeulungen dünn ist.

Die kanadische Regierung hat zudem zugegeben, dass die Keulungen grausam sind. Die meisten Wölfe werden von Helikoptern aus gejagt und erschossen. Diese Hetzjagden sind extrem aufreibend für die Tiere und oft reicht eine einzige Kugel nicht aus. Außerdem werden Schlingfallen eingesetzt, die die Tiere erdrosseln, sowie Reh- und Elchköder, die mit Gift (Strychnin) injiziert wurden. Beide Tötungsformen sind sehr langsam und qualvoll für die Tiere. Durch die giftigen, unselektiven Köder sterben außerdem andere Tiere wie Adler, Kojoten, Luchse und Grizzly-Bären. Ein Ende des unnötigen Sterbens ist zurzeit leider nicht in Sicht. Im Oktober hat die Regierung von B.C. die Wolfstötungen wieder um drei weitere Jahre verlängert.

Känguru-Schlachtung in Australien

Keulung: Kängurus werden vor allem nachts gejagt © Hopping Pictures
Kängurus werden vor allem nachts gejagt © Hopping Pictures

Ein weiteres Beispiel für Massentötungen ist die Jagd auf Kängurus in Australien. In den trockenen Gebieten ihrer Heimat werden sie von Landwirten oft als „Pest“ und als Konkurrenten um Nahrung für Schafe oder Kühe betrachtet. Jährlich werden deshalb, bislang völlig legal, bis zu 1,5 Millionen Kängurus erschossen, darunter auch Mütter mit Jungtieren im Beutel. Nirgendwo sonst auf der Welt werden so viele Tiere einer landlebenden Wildtierart getötet – gefördert von Regierung und Industrie. Sowohl das Fleisch als auch die Haut, die zu Leder verarbeitet wird, werden international verkauft. Deutschland war in dem Zeitraum von 2013 bis 2016 weltweit der drittgrößte Abnehmer für Känguru-Produkte.Das Fleisch wird als Steak angeboten oder zu Hunde- und Katzenfutter verarbeitet, während das Leder in Fußballschuhen und Outdoorkleidung zum Einsatz kommt.

Hinzu kommen die illegalen Abschüsse von Farmern, für die es keine genauen Zahlen gibt. Die meisten Jagden finden zudem nachts statt, was es schwerer macht, die Kängurus mit einem gezielten Schuss zu töten. Viele der Tiere erleiden so unnötige Qualen, da sie durch ungenaue Treffer nicht sofort sterben. Begründet wird die alljährliche Massenkeulung mit angeblich zu hohen Populationszahlen. Dabei beklagen Wissenschaftler bereits den Rückgang der Bestände in einigen Gebieten Australiens und warnen, dass die Känguruzahlen über kurz oder lang deutlich einbrechen werden, falls das Culling fortgesetzt wird.

Schießen ist keine Lösung

Keulungen sind also durchaus fragwürdig. In vielen Fällen sind sie nur eine kurzfristige Lösung (wenn überhaupt) eines viel größeren und tiefer gehenden Problems. Durch den Ausbau von Infrastruktur, Industrie, Landwirtschaft und Urbanisierung werden viele Landschaften auf der Welt zerstört, zerstückelt und in Inseln verwandelt, die manchmal zu klein sind, um sich natürlich selbst zu regulieren. Heimische Wildtiere werden als „überzählig“ deklariert oder als Überträger oft menschengemachter Tierseuchen identifiziert – und getötet.

In gesunder, naturbelassener Wildnis übernimmt Mutter Natur die Auslese selber: Gibt es zu viele Individuen einer Art in einem bestimmten Gebiet, erlebt die Population einen Einbruch, da es nicht mehr genug Nahrung gibt, um alle Tiere zu versorgen. Auch Krankheiten wie die Afrikanische Schweinepest oder Raubtiere sind natürliche Regulatoren, die eine Population davon abhalten, zu groß zu werden. Durch Massentierhaltung, Habitatzerstörung, Einführung invasiver Arten und Ausrottung von Raubtieren an der Spitze der Nahrungskette verursachen wir daher selbst Probleme, die im Extremfall Keulungen nach sich ziehen. Keulungen können aber maximal Symptome beheben, nicht die Ursache von Problemen.

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