Schweinswale in Nord- und Ostsee: Dreifache Gefahr

Schweinswale in Nord- und Ostsee: Dreifache Gefahr

In der Nord- und Ostsee ist die Fischerei eine ständige Bedrohung für Schweinswale – mit weitreichenden Folgen für die kleinen Tümmler und das gesamte Ökosystem.

Die Schweinswale (Phocoena phocoena), die einzigen Wale in der Nord- und Ostsee, gehören zu den kleinsten Zahnwalen. Sie erreichen typischerweise eine Länge von etwa 150cm und ein Gewicht von rund 60kg. Trotz ihrer geringen Größe sind sie ein wichtiger Indikator für die Gesundheit der Meeresökosysteme in der Nord- und Ostsee. Gleichzeitig stehen ihre Populationen unter massivem Druck. Sie leiden nicht nur unter Störungen und Unterwasserlärm, sondern vor allem unter drei sich gegenseitig verstärkenden Bedrohungen: verlorene oder entsorgte Fischernetze („Geisternetze“), Beifang in aktiven Netzen und die langfristigen Folgen der Überfischung. Diese Gefahren wirken sich erheblich auf das Überleben der kleinen Tümmler aus, wobei Beifang in der Ostsee mit 31,4% die häufigste Todesursache darstellt, gefolgt von Krankheiten wie Lungenentzündungen oder Infektionskrankheiten (21,3%), die häufig durch geschwächte Immunsysteme und Nahrungsmangel begünstigt werden. In der Nordsee ist der Beifang in Fischernetzen ebenfalls eine der wichtigsten vom Menschen verursachten Todesursachen und betrifft etwa 17 % der Tiere, insbesondere Jungtiere.

Drei Populationen, drei Lebensräume unter Druck

Die Populationen der Schweinswale in Nord- und Ostsee unterscheiden sich deutlich in Größe und Gefährdungsgrad. In der Nordsee leben nach den Ergebnissen der Transektflüge der SCANS-IV-Surveys von 2022 etwa 340.000 Tiere, deren Bestand zwischen 2002 und 2019 vor allem in den deutschen Gewässern jährlich um knapp 2% zurückgegangen ist. In der westlichen Ostsee, der sogenannten Beltsee-Population, leben rund 14.000 Schweinswale. Besonders kritisch ist die zentrale Ostsee, wo nur noch etwa 500 Tiere existieren, die eine genetisch isolierte und stark gefährdete Population bilden. Aufgrund dieser geringen Zahl stuft die Weltnaturschutzunion IUCN die zentrale Ostsee-Population als „vom Aussterben bedroht“ ein.

Schweinswal
Schweinswal © Lana Tannir

Unsichtbare Fallen – Geisternetze, Beifang und Überfischung

Jährlich gelangen schätzungsweise 5.000 bis 10.000 Geisternetze in die Ostsee. Dabei handelt es sich um verlorene oder absichtlich entsorgte Fischernetze, die über Jahre hinweg als tödliche Fallen für Meerestiere wirken. Hergestellt aus langlebigem Kunststoff, zersetzen sie sich erst nach über 500 Jahren und bleiben am Meeresboden oder in der Wassersäule. Schweinswale verheddern sich regelmäßig darin, wodurch sie schwere Verletzungen erleiden und schließlich ertrinken.

Die aktive Fischerei stellt für Schweinswale ebenfalls ein hohes Risiko dar. Besonders häufig verfangen sich die Tiere in Stellnetzen, die in Küstennähe zum Fischfang ausgelegt werden. Diese Netze sind so dünn, dass die kleinen Tümmler sie mit ihrer Echoortung nicht wahrnehmen können. Darüber hinaus führt regelmäßiger Beifang in Fischernetzen zu erheblichen Verlusten innerhalb der Populationen. Zwischen 1990 und 2020 wurden alleine in Schleswig-Holstein insgesamt fast 3.000 tote Schweinswale angespült. Exakte Zahlen liegen allerdings nicht vor, da viele Schweinswale, die in den Netzen gefangen werden, von den Fischern nicht gemeldet und wieder ins Meer zurückgesetzt werden.

Überfischung verschärft den Druck auf Schweinswale zusätzlich. Die Wale ernähren sich vor allem von kleinen Fischen wie Hering, Sprotte, Dorsch und anderen Küstenfischen. Schweinswale müssen nahezu kontinuierlich Nahrung aufnehmen und täglich etwa 10% ihres Körpergewichts fressen, um ihren Energiebedarf zu decken und gesund zu bleiben. Die kommerzielle Fischerei reduziert die Verfügbarkeit dieser Beute, sodass Schweinswale größere Strecken zurücklegen und mehr Energie aufwenden müssen, um ausreichend Nahrung zu finden.

Schutz auf dem Papier – Defizite in der Praxis

Schweinswal (Phocoena phocoena)
Schweinswal (Phocoena phocoena) © Lana Tannir

Der Schweinswal steht in allen europäischen Staaten unter Naturschutz und ist in der EU-FFH-Richtlinie als besonders schutzbedürftige Art aufgeführt. Das ASCOBANS-Abkommen von 1994 verpflichtet die Mitgliedsstaaten, Maßnahmen gegen den Beifang zu ergreifen und Schutzgebiete einzurichten. In der Praxis hapert der Schutz jedoch. Nur 0,3% der deutschen Meeresschutzgebiete in Nord- und Ostsee sind fischereifreie Kernzonen. Selbst in ausgewiesenen Natura-2000-Gebieten wie Sylter Außenriff, Borkum-Riffgrund, Pommerscher Bucht, Kadetrinne und Fehmarnbelt bleibt die Stellnetzfischerei erlaubt, obwohl diese Fangmethode für den größten Teil des Beifangs verantwortlich ist.

Notwendige Maßnahmen für das Überleben

Der Schweinswal ist nicht nur ein Indikator für den Zustand der Meere, sondern auch ein Alarmsignal für die Folgen menschlicher Eingriffe. Um sein Überleben zu sichern, sind umfassende und konsequente Schutzmaßnahmen erforderlich. Dazu gehören die Einrichtung von Meeresschutzgebieten, ganzjährige Verbote von Stell- und Grundschleppnetzen, eine nachhaltige Bewirtschaftung der Fischbestände, die Bergung von Geisternetzen sowie eine verbesserte Überwachung des Beifangs. Diese Maßnahmen tragen nicht nur zum Schutz der Schweinswale bei, sondern sichern auch den Erhalt anderer Tiere im Meer.

Autorin: Lana Tannir
Veröffentlicht am: 1. Dezember 2025

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