Delfintherapie: Schwimmen mit Delfinen

Dr. Flipper – Wunderheiler oder Scharlatan?

Delfintherapie: Schwimmen mit Delfinen

Die Delfintherapie ist eine tiergestützte Therapie, die vor allem Kindern mit schweren Erkrankungen, Behinderungen oder Verhaltensauffälligkeiten helfen soll. Doch die Therapieform ist umstritten. Sie ist sowohl aus Tierschutzsicht höchst bedenklich, aber auch wegen fehlender Nachweise zu ihrer Wirksamkeit.

In den 1980er Jahren wurde sie entwickelt und gilt seither als Wundermittel gegen viele seelische, geistige oder körperliche Erkrankungen und Behinderungen: Die delfingestützte Therapie. Ein deutscher Anbieter von Delfintherapie in der Türkei versichert Linderung oder sogar Heilung bei mehr als 150 Krankheitsbildern wie zum Beispiel Autismus, Depression, Krebs, Schlaganfall und Wachkoma. Delfine scheinen wahre Wunderheiler zu sein – aber zu welchem Preis? Und was ist dran am Dr. Flipper?

Wenn nichts mehr hilft, greifen Eltern mit behinderten oder kranken Kindern nach jedem Strohhalm. Jede erfolgversprechende Behandlung ist verständlicherweise ein Hoffnungsschimmer. Nachdem vor mehr als 25 Jahren die ersten Meldungen durch die Medien gingen, dass Delfine kleine Wunder bewirken können, fing ein regelrechter Hype an. Betroffene Familien kratzten jede Mark zusammen, um beim Schwimmen mit Delfinen ihre Kinder endlich glücklich zu sehen. Als Mutter verstehe ich das sehr gut.

Doch mittlerweile wissen wir mehr über die Delfintherapie. Es gibt viele kritische Stimmen, nicht nur aus den Reihen der Tier- und Artenschützer. Wissenschaftler, Therapeuten und Selbsthilfevereinigungen wie zum Beispiel der Bundesverbande Autismus Deutschland e.V. äußern sich negativ. Und nicht zuletzt steht die Delfintherapie wegen der sehr hohen Kosten in der Kritik – ist es am Ende doch nur Abzocke von Menschen in Notsituationen? Eine 14-tägige Delfintherapie kostet mehrere Tausend Euro, ohne Reise- und Unterbringungskosten…

Wirksamkeit der Delfintherapie

Bis heute gibt es keine wissenschaftliche Studie, die eine positive Langzeitwirkung der Delfintherapie belegt. Sicher: Es werden teilweise deutliche Verbesserungen festgestellt – doch unklar ist, inwieweit diese nicht von den Begleitumständen verursacht werden. Die Patienten sind in einer schönen Umgebung, sie bewegen sich im Wasser, in einem sonnigen und warmen Klima, bekommen besonders viel Zuwendung von Eltern oder Begleitpersonen, sind fern von Alltag und Stress. Würde nicht auch ein einfacher Strandurlaub die gleiche Wirkung haben?

Nicht ganz, denn die heilsame Wirkung von Tieren auf den Menschen ist unumstritten und vielfach belegt. Tiere steigern unser seelisches und geistiges Wohlbefinden in besonderem Maß. Kommt dann noch der Bewegungsfaktor dazu – wie etwa beim Gassi gehen mit dem Hund – werden wir auch noch körperlich fit. Die Frage ist also: Muss es ausgerechnet ein hochsensibles und intelligentes Wildtier sein, das niemals artgerecht in Gefangenschaft leben kann? Eine tiergestützte Therapie mit domestizierten Tieren wie Hunden, Katzen oder Pferden ist ebenso wirksam, aus Tierschutzsicht akzeptabel und aus Artenschutzsicht völlig unkritisch. Und sie kostet nur einen Bruchteil.

Übrigens ist auch die These, die Sonarwellen der Delfine würden Gehirnwellen harmonisieren, nicht haltbar. Die Wirkung von Ultraschallwellen des Delfin-Biosonars wurde 2003 vom Delfinexperten Dr. Karsten Brensing und seinen Kollegen von der Freien Universität Berlin nicht bestätigt.

Mann schwimmt mit Delfin: Delfintherapie?
Mann schwimmt mit Delfin

Gefahren beim Schwimmen mit Delfinen

Delfine wie der Große Tümmler legen in freier Wildbahn viele hundert Kilometer pro Jahr zurück. Die hochsozialen Tiere leben in Verbänden von ein bis zwei Dutzend Tieren, bei den Hochsee-Tümmlern werden gar Zusammenschlüsse von mehreren hundert Tieren beobachtet. Kein Wunder also, dass in Gefangenschaft und Isolation lebende Delfine Verhaltensstörungen zeigen. Und obwohl die Tiere nicht selten mit Psychopharmaka ruhig gestellt werden, kommt es immer wieder zu Zwischenfällen. Menschen haben sich beim Schwimmen mit den Tieren bereits Rippenbrüche, Kratz- und Bisswunden zugezogen, beispielsweise auf Kuba, in Japan und auf den Bermudas. Denn was viele vergessen: Wer mit einem Delfin schwimmt, steigt zu einem wilden Tier ins Wasser.

Zu bedenken ist auch das hohe Infektionsrisiko. Erreger wie Fäkal- und Fäulnisbakterien, aber auch Mikroorganismen, die zur normalen Flora der Meeressäuger gehören, können beim Menschen schwere Infektionen auslösen. Bei Kindern oder Patienten mit einer Immunschwäche wie zum Beispiel durch Krebs kann dies verheerende Folgen haben.

Tierschutzprobleme bei der Delfintherapie

Die hohe Todesrate von in Gefangenschaft lebender Delfine fordert regelmäßigen Nachschub. Der kommt häufig aus dem Meer – denn Nachzuchten gelingen selten. Die Fangaktionen sind brutal und die Delfine erleiden schwere Traumata. Die Verlustrate während des Fangs und kurz danach ist hoch. Die Entnahme hat zudem dramatische Folgen für die lokale Population: Familienbande werden zerstört, Jungtiere werden zu Waisen und ganze Schulen (= Sozialverbände) werden traumatisiert.

Therapiedelfine leben in Gefangenschaft – sie müssen ja jederzeit parat stehen. Doch wie artgerecht kann dieses Leben sein, wenn es nur unter Dauereinsatz von Psychopharmaka und Antibiotika zu überstehen ist? Anstatt 100 Kilometer pro Tag in bis zu 500 Meter Tiefe schwimmen die Tiere im Kreis. Hinzu kommt der anhaltende Stress durch den erzwungenen Kontakt zum Menschen. Die Delfine werden depressiv und verhaltensgestört. Der psychisch desolate Zustand wiederum führt zu einer Immunschwäche und letztendlich zu tödlichen Krankheiten wie Lungenentzündungen oder Magengeschwüren – Frühzeitiger Tod im Dienst des Menschen.

Neben Primaten und Elefanten sind Delfine neuesten Studien zufolge die intelligentesten und sozialsten Tiere. Die Meeresbiologin Lori Marino von der Emory Universität in Atlanta fand heraus, dass das Gehirn der Meeressäuger sogar stärker gefaltet ist und eine größere Oberfläche aufweist als unseres. Aufgrund ihres Ich-Bewusstseins leiden Delfine in Gefangenschaft ebenso wie der Mensch. Wir sollten sie keinesfalls instrumentalisieren für einen sehr zweifelhaften Nutzen.

Autorin: Christine Schorling
Veröffentlicht am: 24. April 2018

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